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Epcot: Disneys schöne neue Welt
Epcot war die Idee einer Stadt von morgen. Entstanden ist in Florida ein hochtechnisierter Amüsierpark
Hermann Schreiber

Am 1. Oktober 1982 wurde in Florida das Epcot Center eröffnet. Was gedacht war als Modell einer Stadt der Zukunft, ist eine Mischung aus Computer-Spielplatz und Dauerfestival naiven Fortschrittsglaubens geworden.

Zum Glück ist Mickymaus nicht weit, auch Schneewittchens Schloß nicht oder Mary Poppins mit ihrem zauberhaften Regenschirm. Kaum vier Kilometer Fahrt in einem Superflitzer von Einschienenbahn, und man ist im „Magischen Königreich“, wo die Träume noch sind, was sie mal waren: Kinderglaube und ein bißchen Hoffnung auf die bessere Welt.

Kaum vier Kilometer von „Epcot“.

Dabei war Epcot doch Walt Disneys letzter, größter Traum, just der Traum von einer besseren Welt der Zukunft. So sagen jedenfalls seine Nachfahren. Und der Mann hat ja wirklich an Träume geglaubt, sogar an deren Verwirklichung. „Ich mag mir einfach nicht vorstellen“ , hat er mal gesagt, „daß es Gipfel gibt, die ein Mensch nicht erklimmen könnte, der das Geheimnis kennt, Träume wahr zu machen.“

Offenbar war die Zukunft für Walt Disney, als er 1966 starb, noch kein Alptraum.

Epcot ist die Abkürzung von „Experimental Prototype Community of Tomorrow“, und das meint ein Modell der Stadt von morgen. Disney hat es kurz vor seinem Tod erdacht, zu einer Zeit, als die mannigfachen Probleme der amerikanischen Großstädte förmlich zu explodieren schienen, und er hat es erläutert in einer Art Werbefilm für die gesetzgebenden Politiker des Bundesstaates Florida, wo Disneys Produktionsfirma einen ganzen Landstrich aufgekauft hatte, doppelt so groß wie Manhattan.

In dieser ständig weiter zu entwikkelnden Modellstadt hätten circa 20 000 Menschen in Hochhäusern leben sollen, die ringförmig um einen autofreien Stadtkern gebaut worden wären. Das Ganze hätte ungefähr ausgesehen wie ein Rad in der Horizontalen. Die Menschen dort wären mit automatischen Fahrzeugen zur Arbeit und zurück befördert worden und hätten sich auch sonst als permanenter Testmarkt für die technischen Neuerungen der von Walt Disney aufrichtig bewunderten amerikanischen Industrie zu bewähren gehabt.

Die Idee war, eine städtische Lebensgemeinschaft sozusagen neu zu erschaffen, von Anfang an, auf eigenem Grund und Boden, so autonom wie möglich und weitgehend unabhängig von geltenden kommunalen Vorschriften. Allein schon deshalb hätte dieser Prototyp eines Gemeinwesens kaum praktikable Lösungen
für die real existierenden Probleme der amerikanischen Städte produzieren können; die Voraussetzungen waren einfach zu unterschiedlich.

Aber Disney hielt an seinem Traum fest. Das bestätigt heute nicht nur sein treuer Weggefährte John Hench, 74 Jahre alt und äußerlich fast Disneys Doppelgänger; so hat 1973 auch die Disney-Production selber ihren verblichenen Gründer zitiert: Epcot werde eine richtige Stadt sein.

Ob es nun eine Omnipotenz-Phantasie des erfolgreichen Traumfabrikanten oder dessen beginnender Überdruß an der Trickfilmerei war, was Disneys Zukunftsvision heraufgerufen hat - seine Nachlaßverwalter haben sie den Realitäten angeglichen. Sie haben nur das übrig gelassen, was nun in der Tat Disneys Welt im Innersten zusammenhält: die Unterhaltung als gewinnbringende Existenzgrundlage und einen geradezu bedingungslosen Optimismus.
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Page count 24
Pages pp. 1,128-148,150,152

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Id 3030
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Inserted 2017-01-18